Ein großes kulturelles Ereignis der waidmännischen Fachwelt ist wohl die Hubertusfeier. Dieses Fest kann als "Erntedankfest" der Jäger betrachtet werden, jedoch gibt es gravierende Unterschiede. Während beim Erntedankfest Architekten, Bankkaufleute und Kurzwarenverkäufer für die Früchte des Feldes danken, und dafür, daß die Frucht gut in die Scheunen kam, so sind es bei der Hubertusfeier doch wirklich hauptsächlich Jäger, die da in festlicher Runde ihre "Ernte" begutachten. In diesem Jahr hatte auch ich die Gelegenheit, diesem Zeugnis der Jagdkultur beizuwohnen. Seit einem Jahr wurde ich bestens von meinem Vater, der gerade einen Jägerkurs macht und auch die ganze Familie bei jeder sich bietenden Möglichkeit mit Jagdwissen versorgt, darauf vorbereitet. So lernte ich schon sehr früh die Jägerterminologie kennen. "Windfang" zum Beispiel nennt der Weidmann die Nase eines Rehes, und wenn der Jäger von "Lichtern" redet, so meint er stets die Augen. Eine Katze ist ein "wilderndes Raubzeug", Blut heißt "Schweiß" und schneiden heißt "abschärfen". Eine "Strecke" ist nicht eine Entfernung, sondern eine Stückzahl (an gejagten Tieren nämlich), und wenn der Jäger auf die "Kanzel" geht heißt das nicht, daß er predigen möchte, sondern im Gegenteil sehr ruhig bleiben will um auf Wild zu warten.
Zwei Tage vor der Hubertusfeier wurde eigens eine Treibjagd abgehalten, um Beute für die Strecke zu bekommen. Das Ergebnis: Ein Fuchs. In meinem Kopf entstand unweigerlich folgende Szene: Dreihundert Jäger scharen sich um einen Fuchs und danken mit Hörnern, Reden und Fackeln dem Herrgott für die phantastische Jagd und dem Fuchs, daß er wenigstens so fair gewesen war und bei ihnen mitspielen wollte. Irgendwie taten mir die Jäger leid, und ich erklärte mich bereit, meine Plastikente als Federwild zur Verfügung zu stellen. Meine Hilfsbereitschaft wurde aber leider abgelehnt.
Die Feier selbst fand in einem Kloster statt, und alle Jäger des Landkreises versammelten sich in ihren typischen Lodenmänteln. Das Gesamtbild, das sich dem Betrachter von weitem bot, war sehr amüsant: Die Jäger, die sich um die Strecke aufgestellt hatten, glichen einer Gruppe Robin Hood-Imitatoren, die sich in der Fußgängerzone um einen Edelstahlreinigungspastenverkäufer aufgebaut hatten, der mit seinem Wundermittel ohne Mühe selbst Kohle zum Spiegeln brachte.
Als wir uns näherten, empfing uns ein Jäger und teilte gleich mit, daß sich zu dem berüchtigten Fuchs noch ein paar andere Tiere gesellt hätten, um bei der Hubertusfeier mitzuspielen. So wurde es doch noch eine stolze Strecke, die auch ohne meine Plastikente auskam.
Dann begann eine Gruppe von Bläsern zu spielen. Ich dachte, es bedeutet "Kavallerie kommt!" Es kam jedoch keine, aber was versteh ich schon als Nicht-Jäger davon. Danach hörte ich etwas von einem "Kreisjägermeister". Das Wort war mir unbekannt. Ich kannte zwar "Jägermeister", den Kräuterlikör in der grünen Flasche, der mir nicht schmeckt und den die Alkoholiker immer vor dem Kiosk trinken, bevor sie andere Menschen anpöbeln. Aber "Kreisjägermeister"?
Ich bestellte ein Glas, denn ich bin Neuem nicht verschlossen, und man will ja auch nicht weltfremd wirken. Mein Nachbar erklärte mir jedoch behutsam, daß es sich um eine Person handelt, die nun eine Rede halten will. Interessiert hörte ich zu und merkte, daß mein Bild, das ich von den Jägern hatte, nicht stimmte. Ich ging zum Beispiel immer davon aus, daß das Wild mit einem Gewehr erschossen wird, aber der Kreisjägermeister bat die Bläser, das Wild "totzublasen". Ja, sie haben richtig gelesen, das Wild wird neuerdings totgeblasen. Ich traute meinen Ohren nicht, aber nachdem die Band jedes einzelne Tier mit "Kavallerie kommt!" totgeblasen hatte, mußte auch ich es als durchaus kritischer Betrachter glauben.
Dann gingen wir in das Kloster um noch einen Gottesdienst abzuhalten. Nachdem alle Jäger des Landkreises sich in der Kirche einen Platz ergattern konnten, begann auch schon der Gottesdienst. Eine der besten Bläser-Gruppen in Deutschland beendete jeden Liturgiepunkt mit einem festlichen "Kavallerie kommt!", das in dem alten Gewölbe der Klosterkirche sehr festlich klang und noch würdevoll nachhallte. Es gefiel mir so gut, daß es mir jedesmal vor freudiger Entzückung eiskalt den Rücken herunterlief. Dieses erhebende musikalische Klangerlebnis wurde aber stets jäh durch ein wohl sehr mitteilungsbedürftiges Kind unterbrochen. "Mama, ein Jäger!", schrie es in die andächtige Stille. Zuerst amüsierte mich das Kind, obwohl ich viel lieber noch den nachhallenden Klängen gelauscht hätte, aber das Kind entdeckte ständig einen neuen Jäger, den es jedesmal mit erstaunlicher Konsequenz ankündigte, und so die ganze Gemeinde an seinen visuellen Wahrnehmungen teilhaben ließ. "Mama, ein Jäger!", schrie es erneut, "Mama, ein Jäger!"
Der Pfarrer erklärte in seiner Predigt, warum dieser Hubertus als Schutzpatron der Jäger gilt. Dieser Hubertus sah - sie werden es nicht für möglich halten - er sah auf dem Kopf eines Hirsches ein Kreuz leuchten.
Ich kenne mehrere Menschen, die sehen auch irgendwo Kreuze leuchten, aber diese Leute werden im allgemeinen mit sehr starken Psychopharmaka in geschlossenen Anstalten aufbewahrt. Eine weitere Möglichkeit wäre, daß jener Hubertus eine dieser weiter oben erwähnten grünen Flaschen auf einmal ausgetrunken hat und nun das Etikett der Flasche, auf der irgend ein anderer Psychopath einen Hirsch mit Kreuz abgebildet hat, in seinem versoffenen Hirn im Rausch mit der Realität verwechselt. An dieser Stelle sei auch noch einmal auf die schädlichen Folgen des Alkohols hingewiesen!
Apropos Alkohol: Mir kommt eine Idee, wie dieser Kreisjägermeister zu seinem Titel kam. Er hatte wohl zusammen mit Hubertus einen über den Durst getrunken. Folgender Dialog hat sich dann wohl zwischen den beiden abgespielt:
(Den Kreisjägermeister, dessen eigentlicher Name mir unbekannt ist, nenne ich im Folgenden einfach Karl)
Karl: Prost Bertel! (Das ist Hubertus' fiktiver Spitzname)
Hubertus: Prost, Karle! (beide leeren die Gläser)
Karl: Auf Bertel, trinken wir noch einen!
Hubertus: Ja Karle, Prost!
Karl: Prost! (Beide können sich kaum noch auf dem Sitz halten; zwei leere "Jägermeister"-Flaschen stehen vor ihnen)
Hubertus: Karle! Ich sehe einen Hirrrrrrsch! Karle, mit einem Kreuz auf dem Kopf! Karle! Das Kreuz leuchtet mir entgegen! Karle, ich bin ein Heiliger!!!
Karl: Wenn das so ist, dann bin ich (er schaut auf das Etikett) der Jägermeister! Oh Gott, mir dreht sich alles im Kreis! Bertel, nenne mich ab sofort "Kreis-Jägermeister". Ich bin der Kreis-Jägermeister! Bertel...
(die beiden werden von der Polizei von der Bank vor dem Kiosk weggetragen, um die vorbeigehenden Passanten nicht zu stören und werden dann in die...
"Mama, ein Jäger!" Ich erwachte aus meinem Wach-Traum. Ich muß wohl während der Predigt mit den Gedanken abgeschweift sein. Ein Blick auf den Programmzettel verriet mir, daß ich sogar einmal "Kavallerie kommt!" verpaßt habe. Ich richtete meine Aufmerksamkeit wieder auf den Pfarrer.
Zum Abschluß des Gottesdienstes erklang erneut die Blaskapelle, bei der sich der Pfarrer auch für das "ins Herz blasen der Guten Nachricht" bedankte, mit dem bekannten Stück "Halalie". Das Stück klingt wirklich sehr gut, aber der Name dafür wurde wahrscheinlich auch von Hubertus und Karl bei einem ihrer Gelagen festgelegt.
Nachdem alle zum "Schüsseltreiben" (was das auch immer sein mag) gegangen waren, stand ich noch viele Stunden allein vor dem Kloster und wartete auf die Kavallerie. Aber sie kam nicht. War wohl alles nur Show!
Ich ging enttäuscht zu meiner Plastikente, die im Auto für den Fall wartete, daß es nur beim Fuchs geblieben wäre und erzählte ihr von der Feier.
verfasst im November 1996 nach dem Besuch einer Hubertusfeier
Foto: Rainer Sturm / pixelio.de