Juni 2013

Der Skandal, der komischerweise niemanden erregt

Wäre bekannt geworden, dass z.B. die Türkei die EU und vor allem Deutschland in großem Stil belauscht, die Abgeordneten überwacht, das ganze Volk ohne rechtliche Grundlage ausspioniert, wäre der Aufschrei fürchterlich. Merkel hätte Erdogan mit scharfen Worten deutlich zu verstehen gegeben, dass dies keinesfalls tolerierbar sei. Sie hätte verlangt, dass dies sofort eingestellt wird. Man hätte gesagt, dass die Türkei Menschenrechte wie die informelle Selbstbestimmung, das Post- und Fernmeldegeheimnis, usw. mißachtet und daher weit von einer echten Demokratie entfernt wäre. Das komplette konservative Establishment hätte sich die scheinheiligsten Aussagen zu Menschenrechten, Demokratie, Freiheit nicht verkneifen können. Es wäre ein schwerwiegender Skandal, bei dem der "demokratische freie Westen" betroffen mit dem Finger auf die bösen Überwacher zeigen würde. Die diplomatischen Beziehungen wären schwer belastet. Das Vertrauen für lange Zeit zerstört.

Aber natürlich macht die Türkei soetwas nicht. Nein, das machen unsere Freunde von den USA und aus Großbritannien. Ich bin ein großer Freund der USA, ich liebe das Land und die Leute. Aber leider verhalten sich die USA nicht wie ein Freund. Die USA überwachen im großen Stil die EU, die Büros der Abgeordneten sind verwanzt, die Telefonate, E-Mails, Chats mitgelesen. Die Daten von Millionen von EU-Bürgern (und da vor allem auch noch von den Deutschen) wurden mitgeschnitten, aufgezeichnet, ausgewertet. Die USA, die sich gerne als das Mutterland der Demokratie versteht und ihre Kriege im Namen der Freiheit und der Demokratie führt, tritt eben jene Menschenrechte mit Füßen, schert sich einen Dreck um unsere bürgerlichen Freiheitsrechte.

Ein Skandal sondersgleichen. Und wer regt sich hierzulande darüber auf? Wer? Freiwillige vor? Was, wirklich niemand? Ist es unseren Regierungen total egal, wenn derartig massiv in unsere Grundrechte eingegriffen wird? Wieso wird hier nicht mit selbem Maß gemessen? Merkel ist bekannt dafür, dass sie z.B. mit Putin auch mal kritische Töne anschlägt wenn in Russland Menschenrechte mißachtet werden. Wieso schlägt sie diesen Ton nicht auch mit Obama an? Wieso wird der amerikanische Botschafter nicht vorbestellt und zusammengeschissen? Ja, wieso?

Und wer hat dies alles ans Licht gebracht? Edward Snowden - derzeit einer der meistgesuchten Menschen der Welt. Doch weshalb wird er gesucht? Was hat er verbrochen? Er hat das massive Missachten von Menschenrechten publik gemacht. Er hat der EU gezeigt, dass sie massiv von den USA bespitzelt wird. Das wird ihm zur Last gelegt. Zusammengefasst heißt dies also, dass das Bespitzeln, das Missachten unserer Freiheitsrechte ok ist - aber wehe es redet jemand darüber.

Wie sang schon Reinhard Mey in "Sei wachsam" (generell ein sehr gutes Lied):

Doch sag die Wahrheit und Du hast bald nichts mehr zu Lachen,
Sie wer'n Dich ruinier'n, exikutier'n und mundtot machen,
Erpressen, bestechen, versuchen Dich zu kaufen.
Wenn Du die Wahrheit sagst, laß draußen den Motor laufen,
Dann sag' sie laut und schnell, denn das Sprichwort lehrt,
Wer die Wahrheit sagt braucht ein verdammt schnelles Pferd!

Wenn "Mutti" nur ein wenig Rückgrat hätte, wenn ihre Ermahnungen an Putin nicht nur leere Worte wären, würde sie dafür sorgen, dass Snowden in Deutschland Asyl bekommt. Eigentlich sollte die ganze EU dafür sorgen - das wäre ein Zeichen für Menschenrechte. Aber für Menschenrechte ist man hier im demokratischen Westen nur, wenn man andere kritisiert.

Snowden hätte sein Wissen für viel Geld an den chinesischen Geheimdienst verkaufen können. Doch er tat es nicht. Seine ganze Aktion war nicht für persönliche Vorteile, sondern weil er das Bedürfnis hatte, dieses Unrecht bekannt zu machen. Er wußte, dass sich sein Leben danach ändern wird. Doch er tat es. Er tat es für uns.

Doch statt ihm zu danken, statt Aufklärung von den USA zu fordern, wird Snowden kritisiert, weil er nach Ecuador flüchten will. Was bleibt ihm denn für eine andere Chance? Wenn die "freie Welt" sich nicht an ihre eigenen Spielregeln hält bleibt ihm ja keine andere Möglichkeit.

Von vielen wird angeführt, die Überwachung sei notwendig um Terror zu verhindern. Und ich bin ganz ausdrücklich gegen jede Art von Terror und jegliche andere Form von Gewalt. Aber Überwachung von unschuldigen, unverdächtigen Bürgern ist Unrecht und bringt auch für die Terrorverhinderung nichts. Glauben Sie nicht? Wieso waren dann die Anschläge auf den Boston Marathon möglich? Auf die Londoner U-Bahn? In Wahrheit ist dieses Argument ungültig. Überwachung unschuldiger Menschen ist falsch. Unter jeden Umständen. Denn

Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit.
-- Benjamin Franklin

Bittere Budgetverluste bei banalen Besuchen bedeutender Buchhandlungen

Als ein Blick auf den Kalender erkennen ließ, daß ich noch am selben Abend auf eine Geburtstagsparty einer guten Freundin eingeladen war und sich das Geschenkekaufen nicht mehr länger hinauszögern ließ, war ich nun doch gezwungen, mir so langsam über ein Geschenk klar zu werden. Da ich im Bezug auf Geschenke nicht unbedingt der begnadete Ideenlieferant bin, alle meine Freunde würden diese Aussage ohne zu zögern kräftig nickend bestätigen, pflege ich immer, bis zum letzten Moment die Sache vor mir herzuschieben. Wer weiss, vielleicht fällt mir ja auch mal noch was ein. Und da ich bei dieser Freundin mein Not-Reporteure, welches aus Douglas-Gutscheinen, Kino- oder Essensgutscheinen besteht, schon aufs Äußerste strapaziert hatte, mußte ich mir nun ernstlich Gedanken machen.

Mein planloses Irren durch die Innenstadt auf der Pirsch nach einem Geschenk führte mich in einen Buchladen. Eigentlich fand ich diese Idee nicht schlecht, vielleicht finde ich etwas passendes für sie. Nur habe ich in Buchläden immer das Problem, daß ich auch viel passendes für mich finde. So schwor ich mir bei irgend etwas mir sehr wichtigem (was es genau war, habe ich vergessen), daß ich für mich unter keinen wie auch immer gearteten Umständen ein Buch kaufen werde. Ich betrat den Laden und sah gleich am Eingang auf einem Tisch in einer Sonderaktion schöne Kunstbücher. Zwei Exemplare haben es mir sofort angetan. Das eine war eine Kunstsammlung von Monet, dessen Bilder mir schon immer gefallen haben, und das andere Buch war mit Kunstwerken von Rosina Wachtmeister. Da meine Freundin sich darüber wahrscheinlich nicht absonderlich freuen würde, nahm ich drei Bände für mich mit.

So würde ich nicht weiterkommen, dachte ich bei mir. Ich machte mir Gedanken, was meiner Bekannten wohl gefallen könnte. Ich ging zu den Cartoons. Ich mag nämlich den bissigen Humor, den einige Cartoonisten in ihren Werken zeigen.

Uli Stein hat ein neues Buch herausgebracht. Ich kannte es noch nicht. Dieser Mißstand muß selbstverständlich behoben werden. Da aber nur noch ein Exemplar vorhanden war, mußte ich für sie wohl doch ein anderes Buch suchen.

Eine freundliche Verkäuferin fragte, ob sie mir helfen könne. Ich verneinte und ging eine Treppe nach oben. Zufällig stieß ich an einen Tisch, auf dem einige Horrorbücher ausgestellt waren. "Hmmm!" dachte ich, "das wäre wohl was." Sie erzählt nämlich oft - und wenn ich sage oft, dann meine ich eigentlich zu oft. Viel zu oft - von solchen Büchern. Ich blätterte gedankenverloren im Buch umher. Als Dr. Leadbeader die Schädeldecke entfernt hatte, quoll ein drittes zuckendes Auge aus der klaffenden Wunde. Er legte mit dem Skalpell das Auge frei und Fingernägel und Zähne kamen im Gewebe zum Vorschein. Ich legte das Buch zur Seite. Ich kann an sowas keinen Spaß finden. Nun gut, ich bin ein weltoffener Mensch. Ich las noch einige Klappentexte, aber nachdem sich eine aufgebogene Büroklammer im Auge eines Superhelden wiederfand, der von drei Männern malträtiert wurde, mußte ich mir eingestehen, daß mir zu dieser Art von Literatur ein wenig der Zugang fehlt. Aber ich dachte, hier würde ich wohl am ehesten etwas passendes finden. Nach einer Stunde kam noch einmal die freundliche Verkäuferin, wieder schickte ich sie weg. Nachdem ich die Ordnung auf dem Tisch etwas meinem Ordnungssinn angepaßt hatte, beschloß ich, daß solche Bücher nicht gut für die Entwicklung eines Menschen sein können, und ich ging ein paar Regale weiter. Ich kam an den Kochbüchern vorbei, verweilte aber nur unterdurchschnittlich lange dort, weil sie nicht gerne kocht. Als ich auf dem Weg zu den Romanen bei den Bastelbüchern vorbei kam, stach mir ein preiswertes Origamibuch in die Augen. Ich ließ es aber liegen. Zumindest für fünf Minuten. Da sich meine Gedanken aber immer um das Mysterium der Papierfalttechnik drehten, konnte ich mich nicht richtig auf die Romane besinnen, und die ersten Beiden, die ich noch für mich mitnahm, konnte ich gar nicht intensiv begutachten. Aber die Autorin ist gut. Danach befand sich plötzlich auch noch das Bastelbuch auf meinem Arm. Ich war froh, daß ich es mitgenommen hatte. Ich hätte mich nur geärgert, wenn ich es liegen gelassen hätte.

Ein weiteres Mal suchte mich die freundliche Verkäuferin heim, die nun in der Zwischenzeit Mühe hatte, ihre freundliche Maske zu waren. Das Reorganisieren des Horrortisches hatte ihrer Laune stark zugesetzt, nachdem diese schon durch den Kunsttisch etwas in Mitleidenschaft gezogen worden war.

So langsam mußte ich aber auch zu Potte kommen, denn das spanische Backbuch drückte mir zu sehr gegen mein Handgelenk und ich hatte auch Mühe, die vier Bände der "Chronik dieses Jahrhunderts" auf meinem Bücherstapel zu balancieren.

Meine Augen glitten an den Regalen entlang, und als sich Titel wie "Aussöhnung mit dem inneren Kind", "Perlen der Baghavadgita" oder "Praxisbuch des magischen Wohnens" häuften, bemerkte ich, daß ich in die Esoterikabteilung abgeglitten bin. Da ich von der ganzen Sache nicht unbedingt viel halte, nahm ich nur "Das Magische Wissen vom Mond" und "Das Tao der ganzheitlichen Selbstheilung" mit. Diese Bücher sind bestimmt nicht schlecht, sie sind mir nämlich von einer anderen Kundin empfohlen worden. Oder sagen wir mal, ich sah das Leuchten in ihren Augen, als sie diese beiden Bücher gefunden hatte. Ein Gespräch fand eigentlich nicht statt, aber ich vertraute auf ihren Geschmack. Es war nicht sehr einfach, diese beiden Bücher zu bekommen, da sie selbst die beiden letzten Exemplare schon in ihren Armen hatte. Nachdem ich sie aber nicht mit Worten überzeugen konnte, mir die Bücher friedlich zu überlassen, mußte ich zu härteren Mitteln greifen. Als sie zu Boden stürzte und durch die Hiebe mit dem "Bebilderten Atlas der Erde" geschwächt war, konnte sie ihre Verteidigung mit der Enzyklopädie nicht aufrecht erhalten, und ich schnappte mir die beiden Bücher und wechselte das Stockwerk um ihren Beschimpfungen aus dem Wege zu gehen. Sooo wahnsinnig ausgeglichen scheinen diese Esoterikjünger auch nicht zu sein...

Ich empfand es als sinnvoll, meine Bücher neben dem frisch sortierten Horrortisch zwischzulagern. Die Verkäuferin (das Wort "freundlich" wäre hier in der Zwischenzeit fehl am Platze) rollte mit den Augen und herrschte mich an, ich solle diese Stapel doch bitte wieder in die Regale räumen, es sei eine Unverschämtheit, ihr diese Arbeit zuzumuten. Ich entgegnete, daß es nach meinem Empfinden äußerst unpraktisch erscheint, Bücher zurück in die Regale zu stellen, die man gerne erwerben möchte. Sie fragte etwas ungläubig, ob ich wirklich beabsichtigen würde, alle diese Bücher zu kaufen. Sie überschlug die Summe im Kopf, nachdem ich ihre Frage bejaht hatte, und just in diesem Augenblick kehrte auch wieder diese Freundlichkeit zurück. Sie brachte mir noch einen Kaffee und einen Stuhl. Ich fand aber nicht mehr viele interessante Bücher, und auch der Druck, endlich ein Geschenk finden zu müssen, störte etwas meine Ruhe, so daß ich meine gemütlich eingerichtete Ecke im Buchladen schon nach drei weiteren Stunden verließ.

An der Kasse sah ich eine andere Kundin, die ein Geschenk für ihre Tochter kaufte. Ich nahm das gleiche. Mit einem Gutschein kann man am wenigsten falsch machen. Ich konnte mich mit der Buchhändlerin auf neunzehn Monatsraten und Transport meiner Ware mit einer Spedition zu Lasten der Buchhandlung einigen und verließ glücklich den Laden. Am nächsten Tag schloß dieser Buchladen und die Verkäuferin setzte sich mit ihren restlichen Büchern, die sie in ihrer Handtasche transportierte, nach Teneriffa ab. Ich denke oft an sie, wenn ich den Teneriffa-Reiseführer durchblättere, den ich im Erdgeschoß der Buchhandlung bei den Kalendern gefunden hatte...

Sobad ich meinen Buchbestand wieder veräußert habe, werde ich ihr folgen...

Verfasst im Oktober 1997, Foto: manfred walker  / pixelio.de