In ewigem Eis

Eis. Kälte und Schnee. Viele Stunden ohne Hoffnung in diesem ewigen Eis gefangen. Ich war erschöpft und müde. "Nur nicht einschlafen! Nur nicht einschlafen!", murmelte ich vor mich hin. Mit blaugefrorenen Fingern bewegte ich mich langsam weiter. Ich war falsch ausgerüstet. Ich hatte keine Handschuhe dabei, das Schuhwerk war spärlich, meine Hose kältedurchlässig und meine Füße bereits durchgefroren. Jede Berührung und jede Bewegung meiner Finger schmerzte. Mit meiner letzten Körperwärme versuchte ich, wenigstens meine Finger vor dem Abfrieren zu schützen und steckte sie einige Minuten in die Achselhöhlen. Langsam spürte ich die Finger wieder ein wenig, doch ich konnte nicht so verharren, ich durfte nicht aufhören mich zu bewegen, die Kälte hätte mich sonst noch voll zu Boden gestreckt. Nur nicht einschlafen! Weiter wühlte ich verzweifelt mit meinen bloßen Händen im puren Eis. Der Schmerz und die Hoffnungslosigkeit trieben mir Tränen in die Augen. Welche Schande würde auf mir lasten, wenn ich ohne Fund zurückkehren würde, andererseits ... welchen Sinn hätte es, hier ehrenvoll zu sterben? Schon wollte ich resignieren und mit letzter Kraft mein Leben retten. Träge, müde und erschöpft übersah ich noch ein letztes Mal das Terrain. Plötzlich sah ich, daß das Eis etwas weiter unten eine andere Färbung bekam. Etwas muß darunter verborgen sein, das ein wenig durchscheint. Hier könnte ich richtig sein. Obwohl ich meine Finger nicht mehr bewegen konnte, buddelte ich weiter. Die Hoffnung trieb mich voran und hielt die letzte kleine Flamme Leben in mir am glühen. Plötzlich spürte ich steifgefrorene Teile eines Körpers, die nicht zu mir gehörten. Was würde mich erwarten, wenn ich weitergraben würde? Die Entdeckerlust trieb mich an. Ich buddelte und buddelte und buddelte. Nach anstrengenden Grabungen konnte ich es langsam bergen. Ich streifte die Eiskristalle ab und betrachtete meinen Fund genau. Ich konnte es kaum glauben, ich hatte Erfolg. Es war mir tatsächlich gelungen. Ich schnappte mir nun diesen Rehrücken, schlug erleichtert die Tiefkühltruhe zu und dachte bei mir: "Die Truhe muß wohl auch mal wieder abgetaut werden!"

verfasst im November 1996, Foto: Barney O´Fair  / pixelio.de